Eine Reportage von Stefanie Frei
Unweit vom Dorfzentrum umgeben, von Wohnhäusern und Spielplätzen, sticht ein großes Fabrikgebäude hervor. Kein Fabriklärm, stattdessen spielende Kinder, ein rauschender Bach und zwitschernde Vögel. Keine LKWs, sondern Spaziergänger, Wanderer und Mountainbiker, die im Dickicht des Waldes verschwinden. Tausend mal bin ich hier vorbeigekommen, noch nie habe ich es genauer beobachtet, das Fabrikgebäude.Bei genauerem Hinsehen fallen mir die zerschlagenen Fensterscheiben auf. Erfolglos wurden sie mit Brettern zugenagelt. Die dunklen Rauchschwaden des schiefstehenden Kamins sind seit Jahren verschwunden.
Ich entdecke ein bereits von Sträuchern überwuchertes Schild: CH. LORÜNSER’S ERBEN GMBH. Durch den Spalt einer Holztür spähe ich in das Innere des Gebäudes. Außer Dunkelheit und Stille kann ich nichts erkennen. Vorsichtig drücke ich die schwere Tür auf. Mit Herzklopfen und mulmigen Gefühl wage ich einen Schritt in das Gebäude, ein modriger Geruch steigt mir in die Nase. Ich halte die Luft an, lausche. Mein klopfendes Herz hallt durchs ganze Gebäude. Vor lauter Angst möchte ich gleich wieder umdrehen, aber die Neugier dieses verlassene Gebäude zu entdecken ist größer. Ich gehe. Hinein.
Zeitgleich zur fotografischen Dokumentation der stillgelegten Textilfabrik, begebe ich mich auf die Suche nach Erinnerungen und Geschichten von Zeitzeugen. Mehr und mehr erfahre ich über das lebhafte Fabriktreiben, welches sich von 1886 bis 2001 hinter der heute tristen Fassade abgespielt hat. Hier wurden Stoffe gesponnen, gewoben, gefärbt und schließlich in die ganze Welt exportiert.
Christian Lorünser’s Erben GmbH wurde 1886 vom bereits 70-jährigen Christian Lorünser gegründet. An der Stelle der abzubrechenden alten Mühle sollte eine Loden- und Wollstoff Fabrik entstehen, bestehend aus einer Spinnerei, Weberei und Färberei. Es sollten rund 50 Arbeiter beschäftigt werden und jährlich etwa 4000 Stück Tuch gesponnen, gewoben und gefärbt werden. Die Tatsache, dass sich unter diesen anzustellenden Arbeitern viele Gemeindebürger von Nüziders befinden würden, trug dazu bei, dass sein Projekt in der Gemeindestube von Nüziders durchaus willkommen war.
„Nüziders gewann durch die Nähe von Bludenz. Im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens steht die 1886 erbaute Schafwollwarenspinnerei und –weberei, die um 1890 schon über 600 Arbeiter und Angestellte zählte…“
Dieses Zitat aus dem Vorarlberger Jungbürgerbuch des Jahres 1953 führte dazu, dass Nüziders fälschlicherweise als “Industriedorf” bezeichnet wurde. Und dies nur weil an der Beschäftigungszahl irrtümlicherweise eine Null zu viel angehängt wurde.
Es war lange Zeit eine sehr innovative Firma, die sehr viel investiert hat. Irgendwann kam jedoch der Wandel zu Billigprodukten, wodurch Schwierigkeiten im Absatz entstanden. Um Kosten einzusparen wurde auf eine billige Produktion im Ausland gesetzt. So wurde beispielsweise die Stückfärberei nach Ostdeutschland ausgelagert, was jedoch ein Teufelskreis nach sich zog. Die langen Lieferzeiten führten zu Verspätungen und somit Ungenauigkeiten, da keine Zeit mehr für Verbesserungen war. Dies wiederum hatte natürlich finanzielle Einbußen zur Folge.
Die Zeitzeugen erzählen von Selbstverwirklichung, Zusammengehörigkeit und Unterstützung, aber auch von Unterdrückung, hartem Schichtbetrieb und Personalkürzungen. Christian Lorünser’s Erben GmbH war ein international erfolgreiches Unternehmen, welches über Generationen hinweg ein wichtiger Arbeitgeber für Nüziders und die Region darstellte.Zurückgeblieben ist ein Bild der Trostlosigkeit: zerschlagene Fensterscheiben, leergeräumte Hallen, vergessene Jacken, verrostete Maschinen, zerzauste Wollreste und stehengebliebene Uhren.
Während aus dem neueren Webereigebäude bereits LOFT Wohnungen entstanden sind, ist noch ungewiss, was mit dem alten Hauptgebäude geschehen wird. Der Betrieb ist seit zwölf Jahren eingestellt und nach anfänglichen Bauverhandlungen scheint die Fabrik einfach vergessen zu sein… und doch voller Erinnerungen!
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