Eine zweistimmige Stille

– Eine experimentelle Reportage von Michael Haberbosch –

Die Wiege des Schifahrens. Nein, die Rede ist nicht vom Arlberg, welcher weithin dafür bekannt ist. In diesem Fall ist das Bödele gemeint, eine unscheinbare Erhebung am Rande der Westalpen. Mit seinem höchsten Punkt, dem 1464 Meter hohen Hochälpelekopf, liegt es sprichwörtlich im Schatten, der dahinter aufragenden Bergriesen. Doch genau hier, wurde 1907 der erste Schilift Mitteleuropas in Betrieb genommen.

An klaren Tagen bietet das Bödele eine faszinierende, kaum zu übertreffende Aussicht. Während einem in nordwestlicher Richtung, der Bodensee und die weitläufigen Ebenen zu Füssen liegen, schweift der Blick hinüber zum Säntis und zum Hohen Kasten, hinein in die Lechtaler und Allgäuer Alpen und schließlich hinab auf die Hügel des Bregenzerwaldes. Durch seine Lage, als eine der ersten Erhebungen, und durch die Nähe zum Bodensee und zum angrenzenden Rheintal, gilt das Bödele als besonders schneesicher. Selbst ruhmreiche und für jedes Schifahrerherz wohlklingende Namen, wie Kitzbühel oder Ischgl, müssen sich mit weniger von Frau Holles Federn begnügen.

Was also erwarte ich von einem Schigebiet mit langer Geschichte, bester Lage und Traumverhältnissen? Vermutlich Alles. Ausser Stille. Doch die Lifte, an der nordöstlichen Bergseite, wenige Meter unterhalb des Hochälpelekopf, stehen still. Ausser mir ist niemand hier und genau an diesem Punkt beginnt es.

Ich beschließe, Stille an einem Ort wirken zu lassen, an welchem ich zuvor nicht mit ihr gerechnet habe. Über die Zeit hinweg geschieht etwas Wundersames. Ich werde mir darüber bewusst, dass es eine zweistimmige Stille gibt. So grundverschieden wie Tag und Nacht und ebenso untrennbar. Jedem Teil dieser Stille liegt eine langsame Veränderung zu Grunde.

Die erste Stille, heimlich und lauernd. Sie verändert schleichend und unmerklich die Umgebung. Es ist eine Alles umfassende, eine einnehmende Stille. Von jeher dagewesen. Sie vermag es, Berge wachsen zu lassen und Jahreszeiten zu gestalten. Es ist die Stille dessen, was ich wahrnehme und beobachte.

Die zweite Stille lässt zunächst auf sich warten. Als sie mich aber schließlich erreicht, vermag sie es, Augenblicke zu Empfindungen zu formen. Sie ist die Stille, welche Vertrautheit in sich trägt. Mehr noch. Sie ist die Stille, welche nicht meine Umgebung, sondern mich selbst verändert.

 

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