Kaplan Bonetti Sozialwerk – Audioreportage
Ein Tag im Kaplan Bonetti Sozialwerk
8:30 Uhr
Ich stehe auf, weiche Ergomatratze in einem 1,80 m großen Bett, mein Zimmer geräumig, ein Waschbecken, Ikeaschränke, Leselampe, Sessel, Teppiche,Tisch. Ich richte mich, esse mein Müsli in der Küche, die nach der gestrigen Zusammenkunft von Freunden, Mitbewohnern und mir, sehr durcheinander ist, ich rauche meine Morgenzigarette. Nach einem Austausch mit meinen Zimmerkollegen verschanze ich mich in meinem Zimmer und durchforste nochmals die Internetseite des Kaplan Bonetti Sozialwerks: 50-60 Klienten, gegründet von Dr. Edwin Fasching1953, vorheriger Name „Haus der jungen Arbeiter“, nach dem Tod des Kaplans 2007 wurde die Einrichtung in Kaplan Bonetti Sozialwerk umbenannt.
10:00 Uhr
Ich stehe vor dem Kaplan Bonetti Sozialwerk, die Architektur des Altgebäudes erinnert an die 50er Jahre. Auf den Fenstersims der bewohnten Zimmer stehen Bierflaschen und Tupperware, ein Mann winkt freundlich aus dem Fenster, ich winke zurück. Dahinter der unfertige Neubau.
Ich betrete das Sozialwerk, die Empfangskabine leer, die Umgebung düster. Ich begegne einem ersten Klienten, der die Treppe herunterläuft. Fragend sieht er mich an, meine Videoausrüstung macht mich verdächtig. Er erwiedert meinen Gruß nicht, läuft weiter, dreht sich nochmals zu mir um und verschwindet.
Die Tür geht auf, Licht erhellt das Abgedunkelte, ein Mann kommt auf mich zu und ruft mich zu sich. Ich betrete sein Zimmer. Es sieht kühl aus, eine Pflanze lässt es etwas freundlicher erscheinen, er bittet mich, mich zu setzen und erklärt mir, dass eine Videoreportage aus Datenschutzgründen zu problematisch wäre, ich bin etwas geschockt. Verhandlungen beginnen.
13:00 Uhr
Nach langer Wartezeit wird mir nun zumindest eine Audioreportage genehmigt. Ich packe das Aufnahmegerät aus und teste es. Die Sozialarbeiterin Gaby Greiner-Robin stellt sich mir vor: 40 Jahre alt, seit fast 10 Jahren hier angestellt. Stolz erzählt sie mir, dass sie Kaplan Bonetti noch persönlich kannte. Auf die Frage nach einem Interview willigt sie sofort ein.
Markus Schmidt: Was für Werte prägt Ihr Denken und Handeln?
Gaby Greiner-Robin: Auf jeden Fall menschenwürdige Behandlung und Wohnen, dass man schaut, was kann man machen, was will der Klient machen und wenn er nichts machen will, dass er einfach hier wohnen kann, einfach dass er Hilfestellung bekommt.
Markus Schmidt: Was ist überwiegend der Grund, warum Menschen hierher kommen?
Gaby Greiner-Robin: Lange Krankenhausaufenthalte können ein Grund sein, die Wohnung verloren, Haftentlassung, Menschen, die im Ausland gelebt haben und zurückkommen, Leute, die ihre Wohnung verlieren durch Scheidung, Arbeitsplatzverlust, Delegierungen und immer wieder Menschen, die vom Ausland oder Innerösterreich kommen und hier Arbeit suchen.
Markus Schmidt: Wie lange bleiben die Klienten in der Regel hier?
Gaby Greiner-Robin: Generell ist das „Bonetti“ als Durchgangseinrichtung gedacht, wir suchen mit den Menschen eine Wohnung usw. Für manche ist es allerdings hier ein Zuhause geworden.
Markus Schmidt: Halten Sie auch nach der Entlassung den Kontakt zu den Klienten?
Gaby Greiner-Robin: Generell sind wir nicht dafür zuständig, falls allerdings weitere Betreuung notwendig ist, leiten wir dies an unsere Beratungstelle weiter. Wir schauen, dass, wenn sie ausziehen alles geklärt ist, z. B. Wohnbeihilfe, Miete oder auch Kaution.
Markus Schmidt: Wie sieht es mit der ärztlichen Versorgung bei Ihnen aus?
Gaby Greiner-Robin: Die Menschen hier haben einen Hausarzt, der die Medikation vergibt. Wir müssen sie auch teilweise dort hinbringen, da manche nicht im Stande sind, sich soweit fortzubewegen. Wir schauen einfach, was nötig ist, dass eine gute ärztliche Versorgung gewährleistet ist.
Markus Schmidt: Wie sieht es bei den Klienten mit Hygiene aus?
Gaby Greiner-Robin: Wir motivieren sie zu Körperhygiene, falls einer dies nicht mehr von sich aus machen kann, wird natürlich Hilfestellung geleistet, allerdings ist die Körperhygiene immer ein großes Thema.
Markus Schmidt: Wie sieht es mit psychiatrischer Hilfestellung aus?
Gaby Greiner-Robin: Ja, über den betreuenden Arzt oder über einen ausgebildeten Psychiater. Wir haben hier in Dornbirn einen Substitutionsarzt, der alle hier betreut und immer wieder mit uns Rücksprache hält.
Markus Schmidt: Gibt es hier viele Süchtige?
Gaby Greiner-Robin: Es gibt einige, die alkoholkrank sind. Wir sind ein Haus, in dem Alkohol getrunken werden darf, aber nur Bier und Wein, kein Schnaps. Unsere Suchtkranken sind alle substituiert mit Dauerrezepten und Medikationseinstellungen.
Markus Schmidt: Wie kam ihr Arbeitsprojekt zustande?
Gaby Greiner-Robin: Der Ursprung ist mir unbekannt, früher war es allerdings kleiner, z. B. Tischlerarbeiten sind aber mit der Zeit größer geworden.
Markus Schmidt: Welche Möglichkeiten der Arbeit bietet den Klienten das Projekt?
Gaby Greiner-Robin: Lohnarbeit von bestimmten Firmen, Tischlereien, in der sie Vogelhäuser, Kisten und Regale zusammenbauen. Im neuen Arbeitsprojekt wird eine Wäscherei hinzukommen und auch Putzarbeiten für Wohnblocks, das ist gerade im Entstehen und dann wird man noch sehen, welche Möglichkeiten der Neubau mit sich bringt.
Markus Schmidt: Nun zu meiner letzten Frage: Wie wird der Neubau gestaltet?
Gaby Greiner-Robin: Es gibt zwei Neubauten, einen für das Arbeitsprojekt und den anderen für die Wohnungen, Büros und allgemeine Räume. Anschließend wird der Altbau saniert.
Bevor ich mich dankend bei ihr verabschiede, zeigt sie mir ein leeres Zimmer im ersten Stock, das gerade frei geworden ist. Der Raum klein, der Geschmack von Alkohl und kaltem Rauch steigt mir in die Nase, die Wand ist heruntergekommen, das Bett aus Sperrholz, die Matratze schon abgelegen. Das Waschbecken verkalkt, der Spiegel verschmutzt, die Lampe über dem Waschbecken kaputt, alles in allem ein trostloser Anblick. „Es ist noch nicht ganz geputzt“ äußert sich Gaby fast schon entschuldigend.
Ich gehe die Treppe hinunter, alleine. Gaby wurde aufgehalten.
Ich gehe einen Kaffee holen und versuche nun Kontakt zu den Bewohnern zu bekommen. Ich betrete einen Raum, der einer großen Kneipe gleicht, am Ende eine Theke, die wohl als Essenausgabe benutzt wird, die Mensa, wie mir erklärt wird. Rund 10 Leute sitzen hier. Gespräche werden teilweise unterbrochen, als mich Bewohner mit Mikrofon und Aufnahmegerät sehen. Ich ernte abschätzende Blicke. Am anderen Ende sitzt eine Gruppe von zwei Männern und einer Frau, mittleren Alters. Einer der Männer ruft mich zu sich her, ich erhoffe mir ein Interview. Er fragt mich, was ich hier mache, ich erkläre ihm meine Arbeit und er scheint interessiert. Seine Miene verfinstert sich und er beginnt mit negativen Aussagen, es klingt schon fast wie eine Verschwörungstheorie.
Er gibt mir seine Telefonnummer und ich verlasse den Tisch, um mir andere Meinungen einzuholen. Doch ich stoße nur auf Ablehnung. Ich merke ich bin noch zu fremd. Ich verlasse die Mensa, will noch kurz mit Gaby sprechen. Sie ist schon in den Feierabend gegangen. An ihrer Stelle ist nun Stefan Nachbaur, kein Sozialarbeiter, er macht den Nachtdienst. Er verweigert strikt ein Interview und winkt immer wieder mit einem Lachen ab. Dann schlägt er mir doch noch vor, mir die Kapelle und den Neubau zu zeigen. Ich nehme das Angebot an und wir verlassen das Büro. Zuerst führt mich Stefan zur Kapelle, eine Kapelle im modernen Stil. Ein Christbaum, der ein bisschen Schmuck trägt, steht verlassen in der Ecke, Fresken zeigen die Offenbarungsszene, zehn Bänke zähle ich, ein Klavier ersetzt die traditionelle Orgel. Weiter gehts zum Neubau, der direkt hinter dem Altbau steht. Wir gehen durch Schlamm und Matsch, Bauarbeiter in der Vesperpause begrüßen uns freundlich. Als ich im Neubau ankomme, sehe ich das sterile, fast blendende Weiß. Im lichtdurchfluteten Rohbau gibt es noch nicht viel zu sehen. Wir verlassen den Neubau wieder und kehren in das Büro von Stefan zurück. Ich gehe kurz aus dem Büro und als ich zurückkomme ist eine hitzige Diskussion entbrannt. Der Mann, der mir in der Mensa seine Nummer gab, und ein Algerier streiten sich. Es geht um Spannungen, die vorher schon da gewesen sind, ausgelöst durch ein hämisches Grinsen des Algeriers. Stefan schlichtet den Streit, kommentiert die Situation mit dem Wort „Alltag“ und verlässt das Büro. Ich will noch nicht aufgeben, ohne ein Interview mit einem Betroffenen gehe ich nicht. Ich versuche es nochmals beim Abendessen in der Mensa. Es kommt mir mehr Offenheit entgegen, die Neugier scheint gewachsen zu sein. Ich spreche mit Einigen, meistens über mich und meine Reportage, sie wollen nicht über sich reden. In einer Ecke des Mensa-Nebenzimmers sitzt ein Mann, Jürgen Meindel, 56 Jahre. Er macht einen interessanten Eindruck, starrt in die Luft, um ihn herum Bücher, ein Federkissen, ein Wein in einer Suppentasse, persönliches Zeug. Es scheint fasst so als würde er in der Ecke wohnen. Ich gehe zu ihm und frage direkt nach einem Interview. Ohne ihn überreden zu müssen willigt er ein. Zuerst erzählt er lang über sein Leben. Nach einem Betrugsdelikt wurde er alkoholabhängig, verlor seine Arbeitsstelle als Informatiker, Haus und Frau dazu. Auf diesen Schicksalsschlag geht er jedoch nicht näher ein und so erzählt er zuerst fast 30 Minuten über seine Ausbildung. Er weicht den Fragen über seine Leben im Kaplan Bonetti Sozialwerk aus. Sein starker Raucherhusten bringt mich dazu, ihm ein Tempo anzubieten. Diese Geste lässt ihn zumindest etwas aufgeschlossener werden.
Markus Schmidt: Wie sind Sie zum Sozialwerk Bonetti gekommen?
Jürgen Meindel: Bevor ich nach Österreich kam, war ich zuerst in Appenzell in einer ähnlichen, sozialen Einrichtung. Danach ging ich nach Bregenz und setzte mich damals vor ein Elektrogeschäft neben der Kirche. Der Inhaber des Elektrogeschäfts sprach mich später an und führte mich zu einer leitenden Person in der Kirche, die mich in einem Gespräch über das Kaplan Bonetti Sozialwerk informierte. Danach brachte man mich nach Dornbirn zum Sozialwerk und ich bekam die Information, dass ich hier einen Platz bekommen würde.
Markus Schmidt: Wie ist Ihr täglicher Ablauf hier?
Jürgen Meindel: Hier? Ich stehe am Morgen auf, trinke einen Kaffee vielleicht, dann lese ich, ich habe ja viele Bücher um mich versammelt. Dann geh ich manchmal Mittagessen. Ja, ich teile mir meinen Tag ein wie ich will, denn die Einteilung ist ja frei hier, soviel ich weiß!
Markus Schmidt: Gab es auch negative Erfahrungen, die Sie hier gemacht haben?
Jürgen Meindel: Kann ich nicht sagen, eventuell belangloses, wie z. B. dass ich die Wäsche zu spät bekommen habe, aber das Problem löste sich schnell. Das kommt allerdings relativ selten vor.
Als das Gespräch mit Jürgen beendet ist, bedanke ich mich und er bleibt sitzend und in die Luft starrend zurück. Er widmet sich wieder seinem Wein in der Suppentasse und den Zigaretten.
20:00 Uhr
Ich verabschiede mich von Stefan, verlasse das Kaplan Bonetti Sozialwerk, halte kurz inne und lasse den Tag Revue passieren, kehre in mein eigenes Leben zurück, und bin dankbarer geworden.