von Mathias Berger
Warum sammeln wir? Was macht ein Objekt zum Sammlerstück und warum ist das Objekt es wert ausgestellt zu werden? Ein Produkt der Zerstörung, dessen Eleganz in seiner Gefährlichkeit liegt kann zum Sinnbild oder zum Mahnmal werden für eine ganze Epoche, ein Ereignis, eine Tat oder nur für eine einzelne Person. Die Wandlung eines in Masse produzierten Produkts hin zum individuell interpretierbaren Symbol.
Hier wird das kalte, anonyme Produkt zum Gegenstand der Verwandlung zum Symbol mit Geschichte:
Recycling ist Aufbereitung und Wiederverwertung bereits benutzter Rohstoffe.
Eigentlich ist Recycling doch nichts anderes als eine Transformation.
Da findet jemand ein Gewehr im Müll und man überlegt sich, wie lässt sich diese einst mächtige Waffe wieder verwerten? Wie kann ich dieses Mosin Nagant M91 einem neuen Zweck zuführen?
Man kann es in seine Einzelteile zerlegen, die 1895 in der kaiserlichen Gewehrfabrik von Tula (Russland) so mühevoll zusammengebaut wurden. Aus dem Holzschaft, den der russische Soldat in den Händen hielt, bevor ihm seine Waffe 1915 bei Tarnow von Soldaten der Mittelmächte abgenommen wurde könnte man zu Dämmmaterial verarbeiten. Aus der Visiereinrichtung, durch die der österreichische Soldat seine Gegner ins Visier genommen hat, nachdem das Gewehr in das Inventar der österreichischen Armee aufgenommen wurde, könnten Beschläge für Schänke werden.
Doch dann ergreift einen die Neugier und man beginnt sich zu fragen, wie es das Gewehr in den letzten knapp 100 Jahren von Russland auf einen Müllhaufen der Firma Loacker geschafft hat. Und die Neugierde treibt einen weiter, bis sie unweigerlich auf diese Geschichte stoßt:
Nach dem Rückzug der österreichischen Truppen 1918 verteilten sich die Soldaten auf dem Weg in ihre Heimatdörfer und -städte. So machte sich auch ein Vorarlberger Schütze auf den Weg durch das ganze Land zurück in seine westliche Heimat. Wieder bei seiner Familie angekommen verstaute er sein Armeeequipment und kümmerte sich um seine Familie. Seinem Sohn brachte er mit dem Gewehr aus seiner Dienstzeit das Schießen bei und der Junge wird zu einem ausgezeichneten Schützen. Als der zweite Weltkrieg ausbricht musste der Sohn in den Krieg ziehen und wurde als Scharfschütze in Russland eingesetzt. Der Sohn ließ seinen Vater und seine kranke Mutter zurück. Während des Krieges starb die Mutter und der Vater musste sich alleine um das kleine Lebensmittelgeschäft der Familie kümmern. Eines Tages bekam er einen Brief der Wehrmacht, dass sein Sohn im Dienst für sein Vaterland, an der Russischen Front gefallen ist. Der Vater verkraftete die Nachricht nicht, da er es war, der dem Sohn den Umgang mit der Waffe beigebracht hatte. Er machte sich Vorwürfe und verließ seine Heimat ohne jemandem zu sagen wo er hin ging. Das Gewehr allerdings ließ er zurück. Vergraben unter einem Haufen von Erinnerungen, auf dem Speicher des Hauses.
Das Haus stand leer bis kurz vor Kriegsende ein Mann in dem Dorf auftauchte und das Haus aufsuchte. Es war der Sohn, der sich über die Jahre von der Front zurück in seine Heimat gekämpft hatte. Wie so viele Andere wurde auch er fälschlicher Weise als gefallen geglaubt. Traurig über den Tod seiner Mutter und das Weggehen seines Vaters entschloss er sich, das Geschäft seiner Familie wieder zu eröffnen und das Haus mit seiner eigenen Familie wieder zu beleben. Das Gewehr seines Vaters holte er vom Speicher und stellte es als Erinnerung an seinen Vater im Haus aus.
Als er starb stand das Haus viele Jahre leer. Seine Kinder wollten es nicht, da sie weit weg wohnten und als man es schließlich verkaufte um es abzureißen ging auch das Gewehr unter und kam erst beim Trennen des Mülls auf dem Firmengelände der Firma Loacker wieder zum Vorschein.
Das Gewehr hatte eine lange Reise hinter sich, eine Reise voller Geschichte.
Möchte man daraus wirklich noch Dämmplatten oder Beschläge machen? Recycling geht doch auch anders. Auch eine symbolische Transformation ist Recycling. Aus einer Waffe, die gebaut wurde um zu töten wird ein Mahnmal gegen den Krieg. Aus einem Zeichen der Gewalt wird ein Symbol der Wiederverwertung. Die Waffe wird aus ihrer eigentlichen Funktion befreit und erhält, im Rahmen eines neuen Kontext, eine völlig veränderte Symbolik. Sie steht für die Geschichte einer Nation, für die Geschichte einer Familie, dafür, dass sich auch etwas schlechtes in etwas gutes transformieren kann.