Jagdgebiet Hohenems
Österreich, Vorarlberg, Hohenems. Schnee, Regen, Kälte. Es ist Winter und das macht mir die Arbeit schwerer als mir lieb ist. Erwartungsvoll stehe ich inmitten einer Stadt, die wie ausgestorben erscheint, und hoffe auf ein vergebliches Zeichen von Leben. Meine Finger am Abzug sind schon erfroren, aber noch gebe ich nicht auf. Angeblich soll die Hoffnung zuletzt sterben aber in meinem Fall ist es wohl die Sturheit die mich dazu bringt weiterhin auf der Lauer zu liegen. Ich halte den Atem an und versuche alle unwichtigen Hintergrundgeräusche aus zu blenden. Es vergeht einige Zeit bevor ich endlich ein Zeichen von in meine Ohren dringt. Es ist ein Vogel. Meine Aufregung steigt langsam an, doch ich muss Ruhe bewahren, schließlich habe ich mein Opfer noch nicht gesehen. Was ich nicht sehen kann, kann ich schlecht jagen. Ich folge meinem Gehör auf der Suche nach dem Vogel. Wenige Augenblicke vergehen als meine Augen endlich mein Opfer in Empfang nehmen konnten. Es ist eine Amsel. Ich schleiche mich so leise und vorsichtig wie nur möglich an. Das Tier ist sehr unruhig und leicht zu verjagen. Ich halte meinen Atem wieder an und kann meinen schneller werdenden Herzschlag in den Ohren wahrnehmen. Ich wage es kaum mich zu bewegen oder zu atmen. Ich habe den Vogel ins Visier genommen. Meine von der Kälte taub gewordenen Finger zittern am Abzug. Dieses Tier will einfach nicht still sitzen, es kommt also auf den Versuch drauf an. Das Adrenalin in meinem Blut schärft meine Sinne. Ich drücke ab! Nochmal! Nochmal! Nochmal! Endlich atme ich wieder aus und seufze dabei unabsichtlich. Die Amsel flattert davon. Ich muss sie wohl erschreckt haben. Wenigstens konnte ich ein paar Fotos ergattern bevor sie verschwunden ist…
Jagen. Das mache ich jetzt schon seit vier Wochen. In den Wäldern, auf den Straßen, in den Häusern. Ich bin auf der Jagd, auf der Suche nach Leben im scheinbaren Toten. Tot ist meiner Meinung nach ein ziemlich gutes Adjektiv um Hohenems auf den ersten Blick zu beschreiben. Zumindest zu gängigen Arbeits- bzw. Schulzeiten und natürlich Nachts. Auf meiner Jagd sind Menschen mehr ein Hindernis als eine Hilfe. Sie sehen mich komisch an, tuscheln hinter meinem Rücken, erschrecken die Tiere, die ich so mühsam verfolgt habe. Trotzdem muss ich zugeben, dass sie auch irgendwie eine willkommene Herausforderung sind. Wo wäre der Spaß und die Aufregung wenn ich alles auf einem silbernen Tablett serviert bekommen würde? Auf der anderen Seite interessiert mich ihre Meinung zu den Tieren ihrer Stadt. Es gibt viel zu erzählen.
Auch wenn es nicht so aussieht, Hohenems ist eine lebendige Metropole. Über 950 Tierarten Leben hier. Und das sind nur Tiere, die man in einem kleinen Gebiet außerhalb der Stadt gefunden hat. Mäuse und Ratten waren beispielsweise nicht in der Artenliste enthalten. Ich habe aber keinen Zweifel daran, dass es Ratten und Mäuse in Hohenems gibt, auch wenn ich selber keine zu Gesicht bekommen habe. Zumindest noch nicht. Was mich betrifft, so ist die Jagd aufregend. Sie ist spannend. Und sie macht hochgradig süchtig. Ich komme gar nicht mehr umher nach den ganzen versteckten Tieren Ausschau zu halten. Und wenn ich eine Fotokamera dabei habe ist kann ich nicht anders als die Jagd zu eröffnen. Es ist für mich einfach faszinierend wie viel Leben in einer so kleinen Stadt steckt, wenn man nur danach sucht. Es macht auch kaum einen Unterschied wo genau man sucht, denn finden kann man praktisch Überall etwas.
Zum Beispiel der Wald direkt hinter dem Palast. Einer kleiner Wanderweg führt den Schloßberg hinauf. Nur wenige Meter weit von der Stadt entfernt, ganz am Rand des Waldes, habe ich an die zehn Tierarten entdeckt. Ich konnte zwar nicht alle davon fotografieren, aber ich habe sie gesehen und gehört. Es ist kaum zu glauben wie viele tierische Nachbarn in dieser Stadt zu finden sind. Und nicht nur Nachbarn, sondern auch Mitbewohner und gelegentlich Besucher. Mein Herz schlägt schneller wenn ich nur daran denke. Sie verstecken sich zwar sehr gut, aber das macht es noch lange nicht unmöglich sie zu finden. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass jeder Keller gefüllt mit Leichen ist. Genauso wie jeder Dachboden. Garagen, Küchen, Schlafzimmer sie sind überall. Auch wenn der Mensch nur selten Schuld am eigentlichen Mord oder Totschlag hat, die Leichen sind da. Und die meisten davon sind Insekten.Von den gelegentlich zu Besuch kommenden Fruchtfliegen im Sommer, bis hin zu achtbeinigen Dauerbewohnern, man kommt einfach nicht an ihnen vorbei. Und irgendwie ist das gut so. Es bringt Leben in die Stadt.
Die Meinungen dazu gehen allerdings ziemlich auseinander. Während ein Teil der Bewohner absolut kein Interesse für die Tierische Vielfalt aufbringen kann, ist der andere Teil sehr darauf erpicht die ungeliebten Mitbewohner los zu werden. Nur wenige sind sich der Artenvielfalt bewusst und es macht mich traurig. Die Menschen verpassen viel, wenn sie nichts über das Tierleben ihrer eigenen Stadt wissen. Vor allem Hohenems, da sie so viele Tiere beherbergt. Sperlinge, Amseln, Meisen, Mücken, Kreuzspinnen, Krabbenspinnen, Schnecken, Eichhörnchen… Ich finde, man hat die Stadt erst gesehen, wenn man erkennt wie klein und gefüllt mit Leben dieses Biotop wirklich ist. Und vor allem jetzt wo ich am Ende meiner Jagd bin, kann ich schon beinah mit Stolz behaupten, dass ich über 40 unterschiedliche Tierarten gefunden habe.
Eine Reportage von Alexandra Loga